Hilfe von der WG-Therapeutin "Mein Mitbewohner zockt bis in den Morgen"
Nicos Mitbewohner besucht keine Vorlesungen mehr, sondern spielt den ganzen Tag am Computer. Die WG verlässt er nur, um ins Fitnessstudio zu gehen. Wie kann Nico ihm helfen?
Nico* schreibt:
"Mein WG-Mitbewohner ist einer meiner besten Freunde, wir kommen zwischenmenschlich hervorragend aus. Er studiert wie ich Jura, ist allerdings erst im fünften Fachsemester.
Leider macht er nichts für die Uni. Gar nichts. Er ist nur durch die Zwischenprüfung gekommen, weil ich und mein Bruder ihm Crashkurse gegeben haben. Seitdem hat er keine einzige Vorlesung und keine Übung mehr besucht. Und das ist schon mehr als ein Jahr her.
Eigentlich müsste ich mich nicht verantwortlich für ihn fühlen und mir einreden, dass es sein Leben ist, aber ich glaube, er hat ein tiefergehendes psychologisches Problem. Er hat innerhalb der Stadt keinerlei soziale Kontakte und spielt 14 bis 16 Stunden am Tag Computer. Er verlässt die Wohnung nur, wenn er ins Fitnessstudio geht. Das macht er eigentlich jeden Tag.
Ich habe das Gefühl, dass er 'in einer Klemme steckt' und alles andere verdrängt, insbesondere die Krebserkrankung seiner Mutter und die Verpflichtung, in die Uni zu gehen.
- Silja Götz
Er weiß, dass er schlecht in Jura ist. Als er einmal wieder in einer Vorlesung war und gemerkt hat, dass er dem Lehrplan hinterherhinkt, hat er sich in sein Zimmer verzogen und zwei Wochen lang bis in die frühen Morgenstunden gezockt und tagsüber geschlafen.
Das Problem ist, dass sein Verhalten keinerlei Konsequenzen nach sich zieht: Sein Vater versorgt ihn mit mehr Geld, als er ausgeben kann, und beide Elternteile kümmern sich nicht um ihn. Keiner der beiden ahnt, dass er wirklich nichts macht.
Ich habe schon hundertmal versucht, ihn zu motivieren oder mit ihm ein ernstes Gespräch zu führen - alles erfolglos. Er sieht zwar ein, dass es so nicht weitergeht, er hat aber auch keine Lust, etwas anderes zu machen, als 'zu zocken und zu pumpen'.
Als ich einmal andeutete, seinen Vater zu kontaktieren, meinte er, damit wäre die Freundschaft sofort beendet, ich würde ihm sein 'perfektes Leben' zerstören, außerdem müsste ich dann mit körperlichen Konsequenzen rechnen.
Ich mag ihn wirklich sehr, aber ich habe Probleme damit zuzusehen, wenn einer meiner engsten Freunde sein Leben so gegen die Wand fährt.
Was kann ich tun?"
*Name geändert
- Amac Garbe
Sabine Stiehler antwortet:
"Lieber Nico,
Sie sind nicht für Ihren Freund verantwortlich. Es ist für Sie zwar sicher schwer auszuhalten, dass er so in seinem Leben versumpft, aber da können Sie leider wenig tun. Ihr Mitbewohner braucht professionelle Hilfe, am besten eine Psychotherapie.
Sie können sich aber erst einmal informieren, welche Hilfsangebote es an Ihrer Uni oder in Ihrer Stadt gibt - zum Beispiel die psychosoziale Beratungsstelle oder die zentrale Studienberatung - und ihm davon erzählen. Sie können ihm die Adresse nennen und vorschlagen, dort einmal hinzugehen.
Sie können ihn auch fragen, ob ein anderes Studium nicht besser für ihn geeignet sei. Mehr können Sie allerdings nicht machen. Es bringt nichts, ihm zu sagen, dass er seine Zeit verschwendet, sein Leben wegwirft. Wenn Sie das tun, betreiben Sie eine Art moralische Besserwisserei. Das weiß er selbst alles, aber er verdrängt es. Er scheint mir schwer erreichbar zu sein.
Die Eltern haben offenbar viel mit sich selbst zu tun und können sich nicht um ihren Sohn kümmern. Doch irgendwann wird die Situation eskalieren und zwar, wenn die Eltern danach fragen, wie lang das Studium noch dauert. Oder wenn Ihr Mitbewohner exmatrikuliert wird und seinen Studentenstatus verliert.
Ich rate Ihnen, sich nicht eigenmächtig an den Vater des Mitbewohners zu wenden. Sie würden damit sein Lebenskonstrukt verraten und das gefährdet die Freundschaft. Ihr Mitbewohner muss seinen Eltern selbst sagen, dass er das Studium nicht schafft.
Und dann sind die Eltern in der Pflicht. Sie müssen sich darum kümmern, dass ihr Sohn sein Leben anders gestaltet."